Kierkegaard-Jahr 2013 -
Rückblick auf ein vielseitiges Programm

Georg Brandes Gesellschaft

(aus: Niels Jørgen Cappelørn, Joakim Garff, Johnny Kondrup, Skriftbilleder. Søren Kierkegaards journaler, notesbøger, hæfter, ark, lapper og strimler, København 1996, 73.)

Der Mann kann einen auf Trab halten – auch noch zweihundert Jahre nach seiner Geburt. Søren Kierkegaard war ein intellektueller Tausendsassa: Theologe und Kirchenkritiker, Publizist und Medienkritiker, Schriftsteller und Literaturkritiker, Philosoph und Dandy. Um ihm und seinem Werk gerecht zu werden, um es Menschen nahezubringen, die vielleicht noch nie von ihm gehört haben, sind wir neue Wege gegangen:

Zusammen mit Studierenden der beiden Theologien und der Dänischen Literatur, der Germanistik und der Kunst haben wir gemeinsam mit unserem Projektpartner in Dänemark, dem Theologisch-Pädagogischen Zentrum in Løgumkloster, Schlaglichter auf Kierkegaards Werk und Leben, auf seine tragische Liebesgeschichte und die Wirkung seiner Schriften geworfen. Kierkegaard ist eine Portalfigur der Moderne  – ein Vordenker von Existenz und Performanz, ein Anwalt des Einzelnen und ein unerbittlicher Gegner von Vorurteil, Denkbequemlichkeit  und Verlogenheit. Seine Texte richten sich gegen Autoritätsgläubigkeit, sind von beißender Ironie, philosophischer Brillanz und poetischer Schönheit. Kurz: Weltliteratur!

Nach einem Entwurf von Anja Ley hat Marvin Schößler zwölf rot-weiße, weithin sichtbare Kierkegaard-Silhouetten geschaffen, auf denen Zitate aus seinen Büchern zu lesen sind: einmal auf Deutsch und einmal auf Dänisch. Diese Silhouetten haben wir auf dem Campus und in der Flensburger Fußgängerzone, in Sønderborg und Løgumkloster aufgestellt. Wer ihnen über den Weg läuft, erhält eine Anregung zum Denken und einen Hinweis auf das Infocenter in der Phänomenta, das wir ohne die tatkräftige Hilfe von Anne-Marie Schulz und Sarah Philipp, Werner Fütterer und Sacha Haas in der kurzen Zeit, die bis zur Eröffnung am 23. April 2013 zur Verfügung stand, kaum auf die Beine hätten stellen können. Rollups informieren über Kierkegaard und Personen aus seinem Lebensumfeld; ein Mobile veranschaulicht Schlüsselbegriffe seines Denkens; der Chor seiner vielstimmigen Texte hallt in einer Flüstergalerie wider; und neben dem Lesepult mit dem digitalen Bilderrahmen finden sich die Bücher, die Kierkegaard geschrieben hat. Maßgeblich konzipiert, organisiert und installiert wurde das Infocenter von Studierenden: allen voran Anna Lena Krüssel,  Judith Woyciechowski, Caren Wicka, Kai Mertens und Thies Münchow, die dazu Kenntnisse aus der Ringvorlesung, verschiedenen Seminaren und dem Lektürekreis aufbereitet haben.

Nicht weniger wichtig war ihre Mitwirkung in der Vorbereitung einer dreitägigen wissenschaftlichen Tagung in Løgumkloster, auf der es um Kierkegaard als Vordenker und Kritiker der Moderne ging. Am 19., 20. und 21.  Juni 2013 referierten Marcello Neri aus Italien und Eberhard Harbsmeier aus Dänemark, Anne Reichold und Judith Woyciechowski, Markus Pohlmeyer und Thies Münchow, Kai Mertens und Matthias Bauer von der Universität Flensburg zu verschiedenen Aspekten der Thematik. Am zweiten Abend ging es dann für alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit dem Bus nach Sønderborg, wo eines von drei Konzerten des Flensburger Hochschul-Orchesters unter der Leitung von Theo Saye stattfand. Zu Ehren Kierkegaards gab es Exzerpte aus seiner Lieblingsoper, Mozarts Don Giovanni, ein Instrumentalstück des dänischen Komponisten Carl Nielsen und – weil auch er 2013 seinen zweihundertsten Geburtstag feiern konnte – das Finale aus Richard Wagners Tristan und Isolde.

Schon eine Woche später ging es, wieder in Løgumkloster, mit einem Übersetzer-Workshop unter der Leitung von Tim Hagemann aus Tübingen weiter. Dabei wurden verschiedene Transkriptionen miteinander verglichen: semantisch, stilistisch und im Hinblick auf das Selbstverständnis der Übersetzerinnen und Übersetzer. Wie bei praktisch allen Aktivitäten wurden wir auch diesmal nachhaltig von Elin Fredsted unterstützt, die anlässlich dieser Gelegenheit demonstrierte, wie musikalisch Kierkegaard seine Muttersprache zu modulieren verstand.

Überhaupt: die Musik. Sie hat uns durch das gesamte Kierkegaard begleitet; angefangen von einer Veranstaltung in der Dänischen Kirche im Dezember 2012 über die Konzertreihe „Ich liebe, also bin ich der Schwerkraft befindlich“ und die Hommage des Hochschulorchesters bis zu den Celloklängen, die jüngst in der Dänischen Zentralbibliothek zu hören waren. Dort fand am 26. September 2013 eine Matinee statt, auf der Karl Fischer unter anderem die neue Regine Olsen-Biographie vorgestellt  hat – jener kurzfristig mit Kierkegaard verlobten jungen Frau, die zur Muse seiner Werke wurde. Verfasst hat das Buch Joackim Garff, aus dessen Feder auch die maßgebliche Biografie Kierkegaards stammt. Garff war auch einer der Referenten unserer Ringvorlesung im Winter- und Sommersemester gewesen. Caren Wicka trug Passagen aus dieser Biografie und aus dem Tagebuch des Verführers vor; musikalisch umrahmt wurde die Veranstaltung kongenial von Aneta Pohlen am Cello.

Und nun? Ja, wir sind ein bisschen erschöpft – aber auch unendlich bereichert: durch die Ideenfülle des ‚Geburtstagskindes‘, durch die vielen Helferinnen und Helfer, die wir gar nicht alle aufzählen können – stellvertretend seien nur Ivy York Möller Christensen und Pascal Delhom, die Ministerin für Kultur und Justiz, Anke Spoorendonk, der Oberbürgermeister der Stadt Flensburg, Simon Faber, der Geschäftsführer der Phänomenta, Achim Englert, und Werner Reinhart genannt. Wir haben den Partnern  des Kierkegaard-Parcours in Flensburg und dem Kulturdialog für die Unterstützung zu danken; und wir müssen den ebenso unermüdlichen wie umtriebigen, stets herzlichen und unglaublich großzügigen, wunderbaren Eberhard Harbsmeier rühmen – den spiritus rector des Kierkegaard-Jahres. Er hat in die Tat umgesetzt, was Kierkegaard vorschwebte, als er schrieb: „Wenn es einem wirklich gelingen soll, einen Menschen zu einer bestimmten Stelle zu führen, muss man zuallererst darauf achten, ihn dort zu finden, wo er ist, und dort beginnen.“ Der Anfang, so scheint es, ist gemacht.

Für die Initiativgruppe zum Kierkegaard-Jahr: Markus Pohlmeyer und Matthias Bauer